Ein Typ der Agroforstwirtschaft, der neuerlich besondere Aufmerksamkeit erfahren hat, ist die traditionelle europäische Streuobstwiese. Verschiedene Obstwiesentypen finden sich über ganz West-, Mittel- und Osteuropa verbreitet und haben eine lange Geschichte, die mit schönen Landschaften und Obst-, Getreide- und Fleischproduktion verbunden ist. In Deutschland begann die Kultivierung von Obstbäumen nach Zeiten des Unfriedens, die in Europa viele Gemeinwesen verwüstet und mit mangelhafter Nahrungsversorgung zurück gelassen hatten. Friedrich II. (der Große) von Preußen erklärte, "In jedem Dorf soll eine genossenschaftliche, gut ausgestattete Baumschule eingerichtet und von einer Person geleitet werden, die in Handhabung und Pflege von Bäumen geschult und imstande ist, die Dorfbewohner auszubilden. In diesen Baumschulen soll immer ein hinreichender Bestand an Obstbäumen verfügbar sein, so dass, sobald alle Gärten bepflanzt worden sind, die Pflanzungen auf die Straßen in den Dörfern und um diese herum ausgedehnt werden können, und wenn ein Überschuss an Obst erzeugt wird, ist dieser an die Städte zu verkaufen." Die Entwicklung von Obstgärten wurde auch gefördert durch die Verknüpfung von Institutionen wie Ehe und Staatsbürgerschaft mit der Verpflichtung, Obstbäume zu erhalten. In der Folge der Entwicklung im 17. Jahrhundert haben Streuobstwiesen weiter an Bedeutung gewonnen bis zum Erreichen des Höhepunkts in den 1930-er Jahren, worauf sie in einer Periode der Intensivierung der Obstproduktion durch industrielle Anbauverfahren verdrängt wurden.
Die traditionelle deutsche Streuobstwiese ist charakterisiert als Obstgartentyp, in dem die Bäume in ziemlich geringer Dichte (20 bis 100 Bäume pro Hektar) in Wiesen oder Weiden gepflanzt werden zusammen mit einer entwickelten, gewöhnlich krautigen Feldschicht, die eine Reihe unterschiedlicher weiterer Feldfrüchte, Sträucher und Gräser enthalten kann. Die Bäume werden in unterschiedlichen Höhenlagen und Hangausrichtungen gepflanzt und sind häufig nicht nach einem bestimmten Muster angeordnet ("verstreut"). Das Verfahren ist gut geeignet für alle Höhenlagen vom Tiefland bis in mitunter hochmontane Bereiche in etwas geschützten Lagen, aus denen nachts die Kaltluft weiter hangabwärts fließen kann und so keine Frostschäden an den Bäumen verursacht. Aufgrund von Flachgründigkeit und stärkerer Erosion der Böden in den häufigen Hanglagen wurde die umgebende Feldschicht oft als Wiese oder Weide genutzt, so dass Obstwiesen entstanden, die in Teilen noch heute existieren. Während die Obstbäume nicht intensiv gepflegt werden, wird die umgebende Feldschicht gemäß Wiesen- oder Weidenstandards bewirtschaftet, letztere mit verschiedenen Arten nicht-ringelnden Weideviehs. In heutiger Zeit tragen nicht gesammeltes Obst, Laubstreu und die natürliche Vielfalt der Feldschicht zur Verbesserung der Bodenbedingungen und Erhöhung der Artenvielfalt bei.
Die vielfältige Sammlung von Obstbäumen in Obstbaumgärten fördert den Reichtum an Pflanzen und Tieren. Streuobstwiesen sind daher als bedeutender Ort der Pflanzendiversität bekannt mit allein in Deutschland 14.000 Varietäten an Äpfeln und 1.500 Varietäten an Birnen, Kirschen und Walnüssen – davon die weit überwiegende Mehrzahl nur in Obstgärten vorkommend. Zusätzlich fördern sie einen bedeutenden Tierreichtum, indem sie Kleinsäugern, Vögeln, Reptilien, Amphibien und Gliederfüßern Lebensgrundlagen bieten. Studien haben gezeigt, dass die Biomasse an Gliederfüßern in Streuobstwiesen 2,5 bis 7 mal höher ist als in nahegelegenen Wäldern. Obstgärten bieten mehreren Vogelarten Lebensräume wie dem Neuntöter, dem Wendehals und dem Wiedehopf ,deren Bestände zurückgehend, bedroht oder gefährdet sind. Die große Spannbreite an Standortbedingungen in Streuobstwiesen, bezogen auf verschiedene horizontale Schichten (Boden, Moos, Kräuter und Bäume), Lesesteinhaufen, Hangausrichtungen und Höhen, stellt Organismen zahlreiche Lebensräume bereit. Viele der charakteristischen Varietäten an Obstbäumen, die in Obstgärten vorkommen, sind infolge dieser einzigartigen Bedingungen entstanden.
In neuerer Zeit ist das Interesse an Obstwiesen aufgrund ihrer einzigartigen soziokulturellen, ökologischen und ökonomischen Nutzen gestiegen. Während sie weniger produktiv sind als industrielle Obstplantagen, bieten Obstwiesen eine Menge anderer Vorzüge, die Menschen Anreize für ihre Pflege und Erweiterung verschaffen können. Viele der einzigartigen und weithin bekannten Landschaften in Europa sind im Grunde Obstbaumgärten.
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